Brüderle, komm, tanz mit mir,
beide Hände reich‘ ich dir,
einmal hin, einmal her,
rundherum, das ist nicht schwer.
Im Januar 2012 trifft sich die Journalistin Laura Himmelreich mit dem Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion Rainer Brüderle an einer Hotelbar.
AN EINER HOTELBAR???
Ja.
Laut dem Wochenmagazin STERN ist das gar kein so unüblicher Interview-Ort. An Parteitagen, Festen oder auf Reisen sei es ein beliebtes Plätzchen, an dem sich Politiker und Journalisten abends treffen, um in Ruhe und abseits des Termindrucks miteinander sprechen zu können. Denn dann geht es nicht nur um Fakten, die jeder kennen darf, dann geht es um Geheimnise, Lügen, Offenbarungen und alles Andere, das sich lohnt, veröffentlicht zu werden.
Nichts Ungewöhnliches also?
Weder für Laura Himmelreich, noch für Rainer Brüderle?
Doch.
Angeblich hat sich Brüderle in jener Nacht unsittlich verhalten.
Das behauptet die Frau, die ihn interviewt hat.
In dem STERN-Portrait, dass die Journalistin lang und ausführlich vorbereitet hatte, ist die Rede von einem forschen Blick auf ihren Busen und der Begleitbemerkung, sie könne ein Dirndl ausfüllen. Später habe Brüderle ihre Hand ergriffen, darauf einen Kuss gehaucht und sie auf altmodische Weise gebeten, seine Tanzkarte anzunehmen. Die Stelle im Artikel, in der um 1 Uhr Nachts Brüderles Pressesprecherin anrückt und das Gespräch der beiden beendet, wirkt wie eine Erlösung für Laura Himmelreich. Schützend habe sie sich die Arme vor den Körper gehalten, als ihr der Politiker zum Abschied noch mal näher rückte als es ihr lieb sei.
Ist das die Wahrheit?
Das wissen nur Laura Himmelreich und Rainer Brüderle.
Sie klagt an, er schweigt.
Fakt ist, dass es in der STERN-Ausgabe nicht allein um dieses eine Ereignis ging, sondern um Sexismus im Allgemeinen und zwar den Tagtäglichen. Um noch genauer zu sein, berichten in jener Magazin-Ausgabe Frauen über ihre Erfahrungen mit dem respektlosen Auftreten von Männern dem weiblichen Geschlecht gegenüber. Aber diese Sexismus-Darstellungen sind nur halb so reizvoll. Deutschlands Medien stürzen sich auf den „spitzen“ Kandidaten der FDP. So betitelt STERN Rainer Brüderle. Das passt doch wunderbar in unsere schon fast verkommene Nachrichtenwelt. Pardon, aber die Presse hat in letzter Zeit nur noch Interesse an reißerischen Skandalen um deutsche Politiker, deren menschliche Verfehlungen zum Schafott für politische Karrieren werden.
Gott sei Dank, gibt es diesmal noch ein zusätzliches Thema, dass ausreichend Futter bietet, um hitzige Diskussionen anzuleiern.
SEXISMUS.
Der Fall Himmelreich vs Brüderle kurbelt die Debatte um Geschlechterbenachteiligung und respektlose Grenzüberschreitungen erneut an.
SEXISMUS.
Was ist das eigentlich?
Laut TERRE DES FEMMES, einer schweizerischen Organisation für Frauenrechte, ist unter Sexismus „jede Form von Gewalt, Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und andererseits Identitäts- und Verhaltensanforderungen an eine Person oder Gruppe von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung“ zu verstehen.
Ausbeutung.
Diskriminierung.
Geschlechtsidentität.
Gewaltige Worte, die sich meist auf Frauen beziehen.
Dabei sind nicht nur Frauen Opfer. Jeder – auch Presse und Frauenrechtler oder -rechtlerinnen – sollte sich dessen bewusst werden, dass Sexismus auch MÄNNER betrifft. In den allgemeinen Debatten ist zu oft ausschließlich die Rede von Frauen, die belästigt werden. Das gleiche passiert auch Männern. Doch diese Tatsache anzusprechen, löst ein Maschinengewehr an Einwänden aus.
Das sei kaum glaubwürdig.
Einzelfälle.
Etwas ganz anderes.
Es verhält sich wohl so ähnlich wie mit der Tatsache, dass auch Frauen gegenüber Männern gewalttätig werden.
Unvorstellbar?
Ein Mann kann sich doch wehren, oder?
Und was passiert, wenn er sich wehrt?
Zurückschlägt?
Es ist kompliziert.
Alles zwischen Frauen und Männern ist kompliziert.
Das war und wird immer so sein. Auch wenn wir alle das Bedürfnis verspühren, alle gleich sein zu wollen, gleiches zu dürfen oder zu können, Frauen und Männer sind unterschiedlich.
Absolut und total.
Nicht nur vom Körper und ihrer Beschaffenheit, wir unterscheiden uns in den meisten Dingen und das ist gut so. Wichtig ist nur der gegenseitige Respekt.
Die Würde des Anderen, ob Frau oder Mann, achten.
Mensch sein.
Wer Grenzen überschreitet, sollte darauf hingewiesen werden.
Mit Worten.
Wenn die nicht gehört werden, mit Taten.
Sagen Sie NEIN, sagen Sie bis hier hin und nicht weiter.
Gehen Sie! Nicht bleiben und aushalten!
Das gilt für Frau und Mann.
Laura Himmelreich hat Rainer Brüderle im Gespräch an der Hotelbar darauf hingewiesen, dass sie Journalistin sei und von beiden erwarte, dass man sich professionell verhalte. So steht es jedenfalls in ihrem STERN-Artikel.
Hat das der FPD-Politiker gehört oder ignoriert?
Was zwischen beiden tatsächlich passiert ist, können wir nicht wissen, noch für richtig oder falsch befinden. Das geht eigentlich weder uns noch die Presse etwas an, das betrifft Laura Himmelreich und Rainer Brüderle. Die beiden haben scheinbar über ihre Verpflichtungen gegenüber Presse und Politik vergessen, dass sie zwei Menschen sind, die sich auch unter vier Augen die Meinung sagen können.
Direkt.
Ehrlich.
Von Frau zu Mann.